Solidarische Frauen: ein von vielen Händen geknüpftes Netzwerk Die 100 Jahre von Froien Farain erzählen mehrere Geschichten. Die Aufzeichnung dieser Geschichten in einer Festschrift ist auch eine Erinnerung an die jüdische Gemeinde in Rio de Janeiro und Brasilien. Die zweisprachige Ausgabe (Portugiesisch und Englisch), die am 25. August 2024 veröffentlicht wurde, zeigt, dass die Aktivistinnen von Froien Farain heute einzeln, wie gemeinsam ein wichtiges Bindeglied in der jüdischen Tradition der Solidarität und der Beteiligung von Frauen sind. Brasilien hatte gerade seinen 100. Jubiläum der Unabhängigkeit gefeiert und die junge Republik, befreit von der Sklaverei, organisierte ihre Gesellschaft neu, mit mehr Integration und Religionsfreiheit. In der Bundeshauptstadt verwandelten neue öffentliche und private Gebäude Rio in die Wunderbare Stadt und der Migrationsstrom verstärkte sich mit der Ankunft von Schiffen, die Einwanderer aus der ganzen Welt brachten, darunter eine beträchtliche Anzahl jüdischer Einwanderer aus Osteuropa. In diesem Zusammenhang organisierten sich 1923 zum ersten Mal eingewanderte jüdische Frauen in einer Gesellschaft und...
Leben und Werk des Rabbiners Dr. Henrique Lemle Der Lebensweg des rabbiners dr. Lemle ist ein Paradebeispiel für Verfolgung, Zwangsemigration und aufbau einer neuen existenz in einem fremden Umfeld. die ersten neun Jahre seines wirkens, beginnend 1933 mit seiner einsetzung als rabbiner in mannheim bis zur Gründung der ari in rio de Janeiro, verdeutlichen seine große Begabung und seinen Pioniergeist.
Anfänge der deutsch-jüdischen Einwanderung nach Rio de Janeiro Die Geschichte der União Associação Beneficente Israelita (Jüdische Wohlfahrtsvereinigung) reicht zurück in die Zeit vor ihrer Gründung 1937 und hat ihren Ursprung Mitte der 1930er Jahre, als die ersten aus Deutschland geflüchteten Juden nach Rio de Janeiro und São Paulo kommen. Diese erhalten Unterstützung und Unterkunft durch eine Gruppe von Einwanderern unterschiedlicher Herkunft, überwiegend aus Osteuropa, die in Brasilien in der ehemaligen Geschäftsstelle des Relief Sociedade Beneficente Israelita (Jüdische Wohlfahrtsgesellschaft) in der Rua Joaquim Palhares an der Praça XI untergekommen sind. Über hundert Geflüchtete sind dort untergebracht, für weitere werden Unterkünfte in Pensionen und Privathäusern bereitgestellt. 1933 trifft sich eine kleine Gruppe deutsch-jüdischer Einwanderer regelmäßig in einem Club in der Rua Marquês de Paraná, den sie “Centro 33” nennen, um Erfahrungen und Informationen auszutauschen, aber auch um kulturelle und religiöse Bräuche aus der verlorenen Heimat zu pflegen. Im Jahr darauf hält die Gruppe selbst erste Gottesdienste zu Rosch ha-Schana und Jom Kippur...
Familienschicksale: Briefe an Ruth Springer Gerhard Springer wurde am 22. März 1889 in Culmsee, heute Polen (Chełmża), geboren. Seine Familie verkörperte die typische jüdische Familie, die sich im 19. Jahrhundert infolge der Haskala (jüdische Aufklärung) in die deutsche Gesellschaft integrierte, sich an deren kulturelle und gesellschaftliche Werte anpasste und in ihrer jeweiligen Heimatstadt volle Bürgerrechte genoss. Das Engagement deutscher Juden im Ersten Weltkrieg verdeutlicht diese Tendenz. In seinen Briefen von der Front an die Familie und seine Schwester Ruth beschrieb Gerhard alltägliche Dinge, so z.B. am 16. März 1915: „Liebe Eltern! Ich mache Euch darauf aufmerksam, dass ich vorgestern bei einem Nachtmarsch infolge zu schweren Tornisters zurückbleiben musste, am nächsten Tag war ich krank infolge starker Herztätigkeit und habe jetzt Schonung erhalten. Ich habe von euch innerhalb 10 Tage 40 Pakete, von allen anderen unmöglichen Menschen ebenfalls 40 erhalten, das sind zusammen 80. Wie stellt Ihr Euch wohl vor, soll ich die Sachen transportieren (…)“....
Die Haberers: Ein Beispiel für Kontinuität Ursprünglich aus der Gegend um Offenburg stammend, ließ sich die Haberer-Familie im 19. Jh. in Konstanz, Süddeutschland, nieder. Dort gründete Leo Haberer in der Bodanstraße 22-26 sein Geschäft. Heute, wie auch zu Beginn des Jahrhunderts, sind Konstanz (Deutschland) und Kreuzlingen (Schweiz) Grenzstädte, und für ihre Bewohner gibt es im täglichen Leben keine Grenze: Schweizer und Deutsche teilen sich Buslinien, Kultur- und Sportzentren und überqueren zum Einkaufen die Grenze. diese Situations änderte sich zwei Mal in der Geschichte: zur Zeit des Nationalsozialismus, da eine physische Grenze diesen Austausch unterbrach, und neulich während der COVID-19-Pandemie. Während und nach dem Ersten Weltkrieg wanderten verschiedene jüdische Familien von Konstanz auf der Suche nach besseren Geschäftsmöglichkeiten und vermutlich auch wegen der Neutralität der Schweiz in Kriegszeiten von Konstanz nach Kreuzlingen aus. Diese Migration nahm ab 1933, dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, zu und verschärfte sich 1936, als die Juden in Deutschland ihre Freiheit und Bürgerrechte...
Digitale Erfassung der Historischen Mitgliederkartei der ARI Heritage and History (H&H) und die Associação Religiosa Israelita do Rio de Janeiro (ARI) unternehmen in Zusammenarbeit die digitale Erfassung der Historischen Mitgliederkartei der deutsch-jüdischen Gemeinde von Rio de Janeiro aus den 1940er Jahren. Durch die Digitalisierung dieser Kartei entsteht eine Sammlung an Informationen über eine bestimmte Gruppe, deren Geschichte im Rahmen der Immigrationsbewegungen der jüdischen Bevölkerung im 20. Jahrhundert noch nicht angemessen ausgewertet und erforscht worden ist. Die Datenerfassung von Individuen und demzufolge die Erstellung ihrer Biografien ermöglichen besseres Verständnis ihrer eigenen Schicksale und derer Familienangehörigen, aber gleichzeitig auch die Erkenntnis über Schicksale bestimmter Bevölkerungsgruppen.
Juden in Brasilien: Einwanderung und Vielfalt Angesichts der Bedeutung der Erweiterung der Museumssammlungen, die die verschiedenen Gesichter der brasilianischen historischen Erfahrung repräsentieren, zielt das Projekt „Juden in Brasilien: Einwanderung und Vielfalt“ darauf ab, einen kritischen Blick auf die Sammlung des Historischen Nationalmuseums (MHN, Museu Histórico Nacional) aus der Sicht der jüdischen Präsenz in Brasilien zu entwickeln und eine Sammlung dreidimensionaler Objekte aufzubauen, die die materielle Kultur der Einwanderungserfahrung und den Aufbauprozess jüdischer Gemeinden in Brasilien wertschätzen. Aufgrund ihrer ethnischen Vielfalt und Herkunft prägen diese Gemeinschaften die brasilianische Gesellschaft kulturell und historisch und stellen ein wichtiges Element des Brasilidade (Brasilianertums) dar, das in der aktuellen MHN-Sammlung kaum vertreten ist. Das MHN wurde 1922 im Rahmen der Feierlichkeiten zum 100. Jahrestag der brasilianischen Unabhängigkeit gegründet. Seine ersten Sammlungen zeigten eine Art Geschichtslesung, die militärische, religiöse und nationalstaatliche Errungenschaften und die seiner Regierungsvertreter würdigte. In den 1980er Jahren wurden die Auswahlkriterien für Sammlungen im Zuge der Veränderungen im musealen...