Die Präsenz des Bechers für den Kiddusch1 unter den Gegenständen von Judaika beruht ausschliesslich auf der Tatsache, dass er der Behälter ist, in dem sich Wein befindet. Der Wein wurde zum ersten Mal im Talmud in einer längeren Diskussion über die Reihenfolge des Segens über die Früchte des Weinstocks erwähnt und von der Zeit blieb der Brauch, ihn nach den Gebeten zu trinken. Erst unter dem Einfluss des Hellenismus wurde der Wein innerhalb des Gottesdienstes im Tempel von Jerusalem verwendet. Bis dahin wurde er nur als Trankopferritual auf die Altäre des Heiligtums gegossen.
Die Tatsache, dass der (Kiddusch-) Becher eines der bekanntesten und beliebtesten Getränke enthielt machte es notwendig, besondere Aufmerksamkeit auf ihn zu schenken. Dafür wurden von den einfachsten bis zu den raffiniertesten Materialien und Techniken eingesetzt, vom fernen Osten bis zu den westlichen Ländern. Der zeremonielle Becher steht immer auf dem jüdischen Tisch und Ritual: am Schabbat, auf Festen wie Pessach, Rosch Haschana und Sukkot, und in den wichtigsten Momenten des Lebenszyklus der Juden: bei Geburtsfeiern (Brit2 Milah, im Falle eines Jungen), in der Bar-Mitzwa und bei Hochzeiten.
Das jüdische Gesetz schreibt Kiduschbechern keine bestimmten Vorgaben vor; die einzigen Anforderungen sind, dass sie makellos, sauber und von angemessener Größe für die Weinmenge sind. Dies ermöglichte eine Variation in Form, Stil, Material, Größe und Dekoration.
Zu den beliebtesten Bechern unter Juden in Osteuropa zählen solche russischer und polnischer Herkunft aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Diese kleinen Becher bestehen meistens aus Silber und haben eine durchschnittliche Höhe von 5,5 cm. Sie haben die Form eines Fingerhutes und ändern sich je nach Herstellungszeitpunkt. Die früheren sind sehr gut verarbeitet, mit lokalen städtischen oder floralen Motiven, innerhalb eines zentralen Streifens oder einer geometrischen Form. Die späteren, die sowohl in Russland als auch in Polen hergestellt wurden, sind einfacher mit geringerem künstlerischem Aufwand, das wohl eine Reaktion auf größere Auftragsmengen zu sein scheint.
In 18. Und 19. Jahrhunderten war der Süden Deutschlands eine bedeutende Gegend für die Produktion von Silberstücken, die für jüdische Rituale verwendet wurden. Eine sehr häufige Form waren Becher mit kugelförmigen Fußstützen. Ein anderer Stil auch aus den südlichen Gegenden zeigt Becher mit muschelähnlichen Formen vom Boden halbwegs Richtung Ränder.
Die Verzierung der Becher ist vielfältig. Es können Pflanzenmotive, Stadtlandschaften oder jüdische Symbole sein oder Inschriften auf Hebräisch (oder in der Landessprache) enthalten, die sich im Allgemeinen auf Segnungen oder sogar auf Bibelstellen beziehen, oder wann oder für wen der Becher erworben oder gespendet wurde.
Die hohen, eleganten Kelche sind sehr charakteristisch für Deutschland. Sie sind normalerweise glockenförmig, aus noblerem Material und reich verziert, oft auch mit Inschriften. Innerhalb des jüdischen Rituals werden sie für die wichtigsten Feste oder für den ältesten Mann der Familie am Tisch verwendet. Zu Pessach werden sie für den Seder, das feierliche Abendmahl, für den Propheten Eliahu Hanawi auf den Tisch gestellt. Während des Seders werden vier Segnungen über den Wein ausgesprochen und die vier für diesen Zweck benutzten Becher können Szenen oder Inschriften enthalten, die sich auf Pessach beziehen.
Die Formen variieren auch stark in Bezug auf ihre Funktionen. Schabbatspezifische Becher tragen oft die hebräische Inschrift: «Erinnere dich an den Schabbat, um ihn heilig zu halten» (Exodus 20: 8). Für die Hawdalah, Zeremonie zum Schluss des Schabbats, die den heiligen Schabbat von den anderen Wochentagen trennt, wird der Kelch der Erlösung (Kos Jeschuot) verwendet. Dieser Becher hat normalerweise die Ränder nach Aussen gebogen, so dass der Wein beim Eingiessen auf den Teller überläuft, auf dem die Hawdalah-Kerze gelöscht wird. Metaphorisch bedeutet der Überlauf von Wein Fülle.