Titelblatt eines Katalogs mit der Silhouette der Stadt Kreuzlingen und der Aufschrift «Haberer's Schuhversand Kreuzlingen» aus dem Jahr 1919/1920, als Siegfried Haberer den Schuhverkauf über Postversand beginnt

w. 1925

Die Familie Haberer (vordere Reihe sitzend) und Mitarbeiter des Schuhhauses Haberer in Kreuzlingen, 1931. Hildegard, stehend im Zentrum des Fotos, wird zu einer treibenden Kraft im Familienunternehmen in Brasilien

Schuhhaus Haberer, Katalog, Frühjahr 1937

Haberer Schuhhaus, Auszug aus dem Katalog, Sommer 1938

Die Haberers: Ein Beispiel für Kontinuität

Ursprünglich aus der Gegend um Offenburg stammend, ließ sich die Haberer-Familie im 19. Jh. in Konstanz, Süddeutschland, nieder. Dort gründete Leo Haberer in der Bodanstraße 22-26 sein Geschäft. Heute, wie auch zu Beginn des Jahrhunderts, sind Konstanz (Deutschland) und Kreuzlingen (Schweiz) Grenzstädte, und für ihre Bewohner gibt es im täglichen Leben keine Grenze: Schweizer und Deutsche teilen sich Buslinien, Kultur- und Sportzentren und überqueren zum Einkaufen die Grenze. diese Situations änderte sich zwei Mal in der Geschichte: zur Zeit des Nationalsozialismus, da eine physische Grenze diesen Austausch unterbrach, und neulich während der COVID-19-Pandemie.

Während und nach dem Ersten Weltkrieg wanderten verschiedene jüdische Familien von Konstanz auf der Suche nach besseren Geschäftsmöglichkeiten und vermutlich auch wegen der Neutralität der Schweiz in Kriegszeiten von Konstanz nach Kreuzlingen aus. Diese Migration nahm ab 1933, dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft, zu und verschärfte sich 1936, als die Juden in Deutschland ihre Freiheit und Bürgerrechte verloren. Ihren Höhepunkt erreichte sie 1939, zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Siegfried Haberer, Bruder von Leo, hatte einen weiteren Grund zu emigrieren: Er hatte Marta Lion geheiratet, die aus der Schweizer Stadt Diessenhofen stammte.

Die Brüder Siegried und Leo Haberer hatten bereits in ihrem Konstanzer Geschäft Schuhe mit der Post versandt. 1919 eröffnet Siegried sein eigenes Geschäft in Kreuzlingen in der Hauptstraße 48. Die Kataloge belegen den Erfolg des Geschäfts, vor allem, weil die Waren dadurch mit der Post in abgelegene Schweizer Gebirgsregionen gelangen.

Während Marta Schweizer Staatsbürgerin war, waren Siegfried und die Kinder des Ehepaars, Fritz und Hildegard, deutsche Staatsbürger. Die Familie verblieb auf Schweizer Staatsgebiet und konnte von der Eingangstür ihres Geschäfts aus die Bedrohung durch die Nazis sehen, die von der direkt vor ihren Augen liegenden Grenze ausging. Bevor Siegfried 1941 mit seiner Familie nach Brasilien flüchtete, verkaufte er sein Geschäft und die Marke Haberer. Das Schuhhaus Haberer existierte weitere 100 Jahre in Kreuzlingen unter neuen Besitzern, noch immer in derselben Adresse, bis seine Schliessung in 2019. Nach Brasilien brachte die Familie ihr Know-how und ihren Unternehmergeist, und sie führte ein neues, bislang in Brasilien unbekanntes Geschäftsmodell ein.