Wer sind wir in diesem Moment? Die Lektüre des Parascha Pinchas in dieser Woche machte mich auf die moralische und sachliche Dualität unseres Urteils aufmerksam: Pinchas wird für einen Mord mit der Ehre des ewigen Priestertums für seine Familie belohnt. In der heutigen Welt können wir uns mit dieser Tatsache nicht identifizieren. Die Töchter von Tzelofchad profitieren vom Erbe ihres Vaters. Sie suchen Moses, der Gott um Rat bittet. Und Gott findet es gerecht, dass sie das Erbe erhalten, wenn kein männlicher Erbe vorhanden ist. Damit hat Gott dieses Gesetz geschaffen, mit dem wir uns heute sehr gut identifizieren können. Ein Zeichen dafür, dass unsere Herangehensweise an den Text der Thora an unsere Zeit und unseren Raum gebunden ist. Ein Jude, der diese Parascha im Jahr 230 in einer geschlossenen und machohaften Kultur las, hätte vielleicht das Gegenteil von dem gedacht, was wir heute hier denken: Die Rechte der Töchter von Tzelofchad sind eine Beleidigung und...
Noach war in seiner Generation ein gerechter und tadelloser Mann Genesis (1. Buch Mose) ist reine Poesie. Es muss unzählige Male gelesen werden und mit jeder Lektüre offenbart sich eine neue Ebene, eine neue Bedeutung. Die Dichte des Buches Genesis ist eine Herausforderung für Materie und Physik. Als liberale Juden entnehmen wir dem Text etwas, das uns über das hinausführt, was dort geschrieben steht. Wir heben uns von der Wörtlichkeit ab und begeben uns auf den Flug des Begreifens und Verstehens vor dem Hintergrund der heutigen Zeit. Parascha Noach ist voller wichtiger Matrizen, die sowohl Hollywood-Epen inspiriert haben als auch unverzichtbare Symbole in unserer heutigen Welt sind. In Noach passiert alles: die regenerierende Flut auf der Erde, die der Ungerechtigkeit und Korruption ausgeliefert ist; der Ruin des Turmbaus zu Babel, der Verwirrung und Missverständnisse hervorruft; die Erwähnung von Abram und Sarai, noch bevor sie der Patriarch Abraham und die Matriarchin Sarah wurden; die Taube mit dem Olivenzweig – Symbol des...